Strafrecht (Subject) / Kurseinheit 9 (Lesson)

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Schwangerschaftsabbruch Körperverletzung Irrtumslehre

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  • Wann beginnt der strafrechtliche Lebensschutz? Wo endet er? Wo ist die Grenze zwischen §§ 218 ff und 211 ff? Der strafrechtliche Lebensschutz beginnt mit dem Abschluss der Einnistung des befruchteten Eies in der Gebärmutter (Nidation). Der Schutz endet mit dem Hirntod. Die Grenze zwischen dem ungeborenen Leben (§§ 218 ff) und dem lebenden Menschen (§§ 211 ff) liegt am Anfang der Geburt, genauer bei Einsetzen der Eröffnungswehen (arg.: § 217 aF, der allerdings durch das 6. Strafrechtsreformgesetz von 1998 aufgehoben wurde).
  • Wie wird bei sog. "pränataler Einwirkung mit postnataler Auswirkung" entschieden, ob §§ 218 ff. oder §§ 211 ff. gelten? Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Einwirkung.
  • Wann ist ein Schwangerschaftsabbruch für alle Beteiligten straflos? Gem. § 218 a I ist bereits der Tatbestand des § 218 I nicht erfüllt, wenn der Schwangerschaftsabbruch auf Verlangen der Schwangeren bei nachgewiesener Beratung von einem Arzt innerhalb von 12 Wochen seit Empfängnis vorgenommen wird. Gem. § 218 a II und III ist der Schwangerschaftsabbruch bei (unbefristeter) medizinischer und bei (befristeter) kriminologischer Indikation gerechtfertigt. Nicht mehr erwähnt sind hingegen embryopathische und soziale Indikation.
  • Was ist eine Gesundheitsschädigung iSd § 223 I? Jedes Hervorrufen oder Steigern eines körperlich anormalen (pathologischen) Zustandes, der einen Heilungsprozess erfordert, gleichgültig auf welche Art und Weise, ob mit Schmerzen verbunden oder nicht.
  • Wann liegt eine schwere Gesundheitsschädigung vor? Es muss mehr sein, als eine einfache Gesundheitsschädigung iSd § 223, aber nicht unbedingt den Grad schwerer Körperverletzungsfolgen iSd § 226 erreichen. Gemeint ist insbesondere eine erhebliche körperliche Beeinträchtigung im Sinne einer ernsten langwierigen Krankheit, einer ernsthaften Störung der körperlichen Funktionen oder einer erheblichen Beeinträchtigung der Arbeitskraft.
  • Kann ein ärztlicher Heileingriff tatbestandsmäßige Körperverletzung gem. §§ 223 ff. sein? Die Rspr. bejaht generell eine tatbestandsmäßige Körperverletzung, die erst auf der zweiten Deliktsebene - insbesondere durch Einwilligung - gerechtfertigt werden kann. Die hL verneint hingegen den Tatbestand einer Körperverletzung, wenn der ärztliche Heileingriff medizinisch indiziert und kunstgerecht ausgeführt wird. Zum Teil wird darüber hinaus noch ein objektives Gelingen des Heileingriffs verlangt.
  • Wann ist ein Stoff als gesundheitsschädlich iSd § 224 I Nr. 1 einzustufen? Nach hM nur, wenn er in der konkreten Art der Verwendung geeignet ist, nicht nur einfache, sondern erhebliche Verletzungsfolgen herbeizuführen, sodass der "gesundheitsschädliche Stoff" dem "gefährlichen Mittel" des § 223 a aF entspricht, wobei die Gefährlichkeit ebenso konkret zu ermitteln ist wie beim "gefährlichen Werkzeug" der Nr. 2.
  • Können folgende Gegenstände "gefährliches Werkzeug" iSd § 224 I Nr. 2 sein: a) Handkante des Karatemeisters b) steinerner Fußboden c) brennende Zigarette? a) nach ganz hM nein, da Werkzeug nur körperfremde Gegenstände sein können, sodass unbewehrte Körperteile wie Kandkante oder Faust ausscheiden. b) Nach hM nein, da mit dem Begriff Werkzeug nur Gegenstände erfasst werden, die in der konkreten Tatsituation bewegbar (handhabbar) sind, sodass sie der Täter gegen das Opfer führen kann. c) Ja! Denn maßgebend ist die potenzielle Gefährlichkeit der konkreten Verwendung des Gegenstandes. Diese ist allein schon im Hinblick auf die nicht absehbaren (Infektions)Folgen gegeben.
  • Kann man "mittels eines hinterlisten Überfalls" iSd § 224 I Nr. 3 mit "heimtückisch" gleichsetzen? Heimtücke ist bereits im Begriff des Überfalls vorausgesetzt. Hinterlist verlangt zusätzlich ein planmäßiges, auf die Verdeckung der wahren Absichten gerichtetes Vorgehen, um gerade dadurch dem Opfer die Verteidigung zu erschweren. Teilweise wird noch verlangt, dass durch die Hinterlist die konkrete Gefahr erheblicher Verletzungen entsteht.
  • Ist bei § 224 I Nr. 4 das Merkmal "mit einem anderen Beteiligten gemeinschaftlich" identisch mit Mittäterschaft iSd § 25 II? Nein! Einerseits ist das Merkmal enger als § 25 II, da wenigstens zwei Beteiligte vor Ort gefahrerhöhend zusammenwirken müssen. Andererseits ist es weiter als § 25 II, da grds. auch Teilnehmer als Beteilgte erfasst werden.
  • Kann bei § 224 I Nr. 4 "Beteiligter" jede Art von Teilnehmer sein, also auch der Anstifter? Anstifter werden grds. nicht erfasst, da sie nur gefahrverursachend aber nicht gefahrerhöhend wirken. Gehilfen werden jedenfalls dann erfasst, wenn der am Tatort anwesende Gehilfe die Wirkung der Körperverletzungshandlung des Täters bewusst in einer Weise (physisch oder psychisch) verstärkt, welche die Lage des Verletzten zu verschlechtern geeignet ist.
  • Inwieweit besteht Streit beim Merkmal "mittels einer das Leben gefährdenden Behandlung" iSd § 224 I Nr. 5? Während ein Teil der Literatur das Merkmal nur bejaht, wenn das Opfer tatsächlich in konkrete Lebensgefahr geraten ist, lässt es die hM ausreichen, dass die Körperverletzung - unter Berücksichtigung der konkreten Gegebenheiten des Falles - objektiv geeignet war, das Leben des Opfers zu gefährden, ohne dass tatsächlich Lebensgefahr eingetreten sein muss.
  • Beschreibe die Systematik der Erfolgsqualifikation bei der schweren Körperverletzung gem. § 226 I und II! Da § 226 II die Fälle der wissentlichen und absichtlichen Verursachung der schweren Körperverletzungsfolgen regelt, muss § 226 I iVm § 18 alle Fälle der fahrlässigen und die bedingt vorsätzliche Verursachung umfassen.
  • Kann in der Versteifung eines Fingers die dauernde Gebrauchsunfähigkeit eines wichtigen Gliedes iSd § 226 I Nr. 2 liegen? Der Finger ist ein Glied, da er durch ein Gelenk mit einem anderen Körperteil verbunden ist und eine eigenständige Funktion für den Gesamtorganismus erfüllt (insb. Greif- und Haltefunktion). Die Wichtigkeit bestimmt sich nach hL nach individuellen und sozialen Verhältnissen des Verletzten. Danach wären etwa beim Pianisten alle Finger wichtig. Nach aktueller Rspr. des BGH sind jedenfalls individuelle Körpereigenschaften und dauerhafte körperliche Schädigungen des Verletzten zu berücksichtigen. Danach ist beispielsweise der Zeigefinger wichtig, wenn der Mittelfinger fehlt oder umgekehrt. Für die dauernde Gebrauchsunfähigkeit ist ausreichend, dass so viele Funktionen ausgefallen sind, dass das Körperglied weitgehend unbrauchbar geworden ist und von daher die wesentlichen faktischen Wirkungen denjenigen eines faktischen Verlusts entsprechen. Das ist bei Versteifung des Zeigefingers der Fall, da die entscheidenden Funktionen nicht mehr möglich sind.
  • Ist ein Opfer, dem die Schneidezähne eingeschlagen werden, "in erheblicher Weise dauernd entstellt" iSd § 226 I Nr. 3? Enstellung liegt vor, da bei fehlenden Voderzähnen die Gesamterscheinung eines Menschen erheblich verunstaltet wird. Die Entstellung ist aber nicht dauernd, da sie nach dem heutigen Stand der Zahnmedizin in zumutbarer Weise durch Zahnersatz beseitigt werden kann.
  • Was spricht dagegen, auch ein Organ als wichtiges Glied unter § 226 I Nr. 2 einzuordnen? Dagegen spricht u.a. der Wortlaut des § 226 I Nr. 2, wonach dem Verlust jetzt auch die dauernde Gebrauchsunfähigkeit des Gliedes gleichgestellt ist. Organe können von einem Menschen aber nicht gebraucht, dh gezielt für bestimmte Funktionen eingesetzt werden, sondern funktionieren ohne Einflussmöglichkeit auf vegetativer Basis.
  • Wie ist der Begriff "Behinderung" bei § 226 I Nr. 3 zu interpretieren? Nach hM ist eine Behinderung jede nicht nur unerhebliche und nicht nur vorübergehende Störung der Gehintätigkeit, sofern sie nicht bereits der geistigen Krankheit zuzurechnen ist.
  • In welchen Vorschriften des StGB AT sind Irrtumsregeln enthalten? § 16 = Tatbestandsirrtum §§ 22, 23 = untauglicher Versuch § 17 = Verbotsirrtum § 35 II = Entschuldigungstatbestandsirrtum
  • Mit welchen Elementen lässt sich ein Irrtum analysieren? Erscheinungsform (Unkenntnis oder irrige Annahme) Ursache (Verkennung der Sachlage oder falsche rechtliche Bewertung) Bezugspunkt (Tatbestandsmäßigkeit, Rechtswidrigkeit, Schuld, Strafverfolgungsvoraussetzungen bzw. -hindernisse)
  • Was ist eine "abberatio ictus"? Die Abweichung von Angriffs- und Verletzungsobjekt.
  • Was ist ein error in persona vel obiecto? Der error in persona vel obiecto ist ein vorgelagerter Identitätsirrtum. Hierbei erreicht und verletzt der Angriff genau das Objekt, das der Täter anvisiert hat und auf das er seinen Vorsatz konkretisiert hat. Angriffs- und Verletzungsobjekt sind also identisch. Der Täter unterliegt aber schon bei der Vorsatzkonkretisierung einem Irrtum über die Identität des Objekts.
  • Welche Rechtsfolgen ergeben sich bei abberatio ictus und error in persona vel obiecto? Die abberatio ictus führt nach hM zu einem immer beachtlichen Irrtum über den Kausalverlauf. Hinsichtlich des Verletzungsobjekts entfällt der Vorsatz, § 16 I 1. Es bleibt allenfalls eine Fahrlässigkeitstat (§ 16 I 2). Hinzu kommt ein Versuch (§§ 22, 23) in Richtung des Angriffsobjekts. Der error in persona vel obiecto ist hingegen ein unbeachtlicher Motivirrtum, wenn tatbestandsbezogen das fehlidentifizierte und das verletzte Objekt rechtlich gleichwertig sind.
  • Worin besteht der Unterschied zwischen deskriptiven und normativen Tatbestandsmerkmalen? Wann ist Vorsatz diesbezüglich gegeben? Deskriptive TB-Merkmale umschreiben reale Gegenstände, die der sinnlichen Wahrnehmung zugänglich sind. Normative TB-Merkmale enthalten Rechtsbegriffe, die sich erst durch eine rechtliche Bewertung an einer Norm erschließen. Für den Vorsatz bzgl. deskriptiver TB-Merkmale ist grds. nur Tatsachenkenntnis erforderlich. Für den Vorsatz bzgl. normativer TB-Merkmale ist Tatsachen- und Bedeutungskenntnis erforderlich, dh die wahrgenommenen Tatsachen müssen auch rechtlich so bewertet werden, wie das dem rechtlichen sozialen Sinngehalt des TB-Merkmals entspricht. Dabei reicht nach hM, dass der Täter eine ungefähre Bedeutungskenntnis im Wege der sog. Parallelwertung in der Laiensphäre erlangt.
  • Was ist ein Subsumtionsirrtum? Wie wirkt er sich aus? Beim Subsumtionsirrtum nimmt der Täter an, nicht gegen ein Strafgesetz zu verstoßen, weil er die Gesetzesbegriffe zu eng sieht und deshalb den an sich richtig erkannten und bewerteten Sachverhalt juristisch nicht richtig subsumiert. Dieser Irrtum ist nicht TB-Irrtum iSd § 16 I 1, kann aber auf der Schuldebene als Verbotsirrtum nach § 17 zu bewerten sein.
  • Welche Folgen hat ein umgekehrter Tatbestandsirrtum? Der umgekehrte Tatbestandsirrtum führt zum (strafbaren) untauglichen Versuch, vgl. § 22, 23 III.
  • Wie wirkte sich nach bisheriger hL der unbeachtliche error in persona vel obiecto des Haupttäters auf den Anstiftervorsatz aus? Die bisher hL hat den unbeachtlichen error in persona vel obiecto beim Haupttäter immer als abberatio ictus des Anstifters eingestuft: Während der Haupttäter das Opfer töten wolle, das in der Tatsituation vor ihm stehe und darauf seinen Vorsatz konkretisiere, wolle der Anstifter, der nicht in der Tatsituation stehe, nur das Opfer töten, das er sich vorstelle und nicht irgendeines, das sich dem Haupttäter zufällig nähere. Andernfalls müsste in der Konsequenz dem Anstifter uU ein ganzes Blutbad des Haupttäters zugerechnet werden, wenn dies mehrfach einer Opferverwechslung unterläge und weitermachen würde, bis er endlich das richtige Opfer getötet habe.
  • Welche Position vertritt der BGH und die heute wohl hM hinsichtlich der Auswirkungen eines unbeachtlichen error in persona vel obiecto auf den Anstiftervorsatz? Nach dem Wortlaut des § 26, wonach der Anstifter gleich dem Täter bestraft werde, müsse ein beim Haupttäter unbeachtlicher error in persona vel obiecto auch für den Anstiftervorsatz grds. als unbeachtlich eingestuft werden. Ausnahme nur dann, wenn für den Anstifter nach allg. Grundsätzen eine wesentliche Kausalabweichung vorliege. Die "abberatio ictus" als Sonderfall der Kausalabweichung beschränke sich hingegen auf die unmittelbare Täter-Opfer-Situation.
  • Worin besteht der grundlegende Unterschied zwischen den sog. Vorsatztheorien und Schuldtheorien? Nach den Vorsatztheorien ist Vorsatz nicht nur Wissen und Wollen der Tatbestandsmerkmale, sondern auch Wissen und Wollen der Rechtswidrigkeit. Damit ist das Unrechtsbewusstsein bereits Bestandteil des Vorsatzes. Nach den Schuldtheorien ist das Unrechtsbewusstsein hingegen selbständiges Element der Schuld.
  • Wann liegt nach der heute herrschenden eingeschränkten Schuldtheorie ein Erlaubnistatbestandsirrtum vor? Ein Erlaubnistatbestandsirrtum ist gegeben, wenn der Täter irrig einen Sachverhalt annimmt, bei dessen tatsächlichem Vorliegen sämtliche Voraussetzungen irgendeines anerkannten Rechtfertigungsgrundes erfüllt wären.
  • Wann nimmt die hM einen Erlaubnisirrtum an? Ein Erlaubnisirrtum ist entweder anzunehmen, wenn der Täter infolge eines Irrtums einen Rechtfertigungsgrund für sich in Anspruch nimmt, den die Rechtsordnung gar nicht kennt (Erlaubnisnormirrtum), oder die rechtlichen Grenzen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes überdehnt (Erlaubnisgrenzirrtum).
  • Was sind die Rechtsfolgen von Erlaubnistatbestandsirrtum und Erlaubnisirrtum? Beim Erlaubnistatbestandsirrtum entfällt nach der Lehre von den negativen Tatbestandsmerkmalen direkt der Tatbestandsvorsatz gem. § 16 I 1, nach der eingeschränkten Schuldtheorie ieS analog § 16 I 1 das Vorsatzunrecht auf der Rechtswidrigkeitsebene und nach der rechtsfolgenverweisenden Variante der eingeschränkten Schuldtheorie analog § 16 I 1 die Vorsatzschuld. Beim Erlaubnisirrtum entfällt das Unrechtsbewusstsein als Element der Schuld iSd § 17. Eine Entschuldigung hängt aber von der Frage der Vermeidbarkeit ab.
  • Wie ist auf dem Boden der eingeschränkten Schuldtheorie mit sog. Doppelirrtümern umzugehen? Ein doppelter Tatsachenirrtum führt zum Erlaubnistatbestandsirrtum, wenn alle irrig angenommenen Tatsachen als richtig unterstellt die Voraussetzungen eines Rechtfertigungsgrundes ergeben. Ein doppelter Rechtsirrtum kann nur zu einem Erlaubnisirrtum führen. Ein Doppelirrtum in Form von Tatsachen- und Rechtsirrtum führt zu einem Erlaubnis(grenz- oder norm-)irrtum auf falscher Tatsachengrundlage und wird wie der "normale" Erlaubnisirrtum auf richtiger Tatsachengrundlage nach § 17 behandelt.
  • Wie werden Rechtfertigungsirrtümer nach der sog. strengen Schuldtheorie behandelt? Ausschließlich als Verbotsirrtümer, da bei einem rechtswidrigkeitsbezogenen Irrtum immer nur das Unrechtsbewusstsein iSd § 17 fehle, egal ob die Fehlvorstellung das Verbotensein oder umgekehrt das Erlaubtsein betreffe, egal auch, ob die Ursache in der Verkennung der Sachlage oder einer falschen rechtlichen Bewertung zu suchen sei.
  • Ist ein Irrtum über eine objektive Strafbarkeitsbedingung rechtlich von Bedeutung? Subjektive Vorstellungen sind hier - wie der Name schon zeigt - unbeachtlich.
  • Welche Rolle spielt ein Irrtum über Strafverfolgungsvoraussetzungen? Diese Irrtümer sind grds. unbeachtlich.