Markt & Staat (Fach) / Lektion 8 (Sozialpolitische und meritorische Staatseingriffe) (Lektion)
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- Grundlagen der Sozialpolitik - Sozialpolitik = Gesamtheit staatlicher Eingriffe mit sozial- und verteilungspolitischer Zielsetzung (soziale Sicherheit, sozialer Frieden, Solidarität, Gerechtigkeit) - Querschnittsaufgabe, die in unterschiedliche Politikfelder eingreift - zentrales Teilgebiet: Verteilungspolitik, umfasst alle staatlichen Maßnahmen zur Beeinflussung der Einkommens- und Vermögensverteilung mit verteilungspolitischer Zielsetzung (z.B. Blick auf die Lorenzkurve, Ungleichverteilung, mögl. Lösung progressives Steuersystem) - primärer Grund für SP ist distributives MV (unzufrieden mit Marktergebnis der Einkommensverteilung z.B. Mindestlohn), aber auch allokatives MV (besonders Kollektivgutproblematik), sowie systemisches MV
- Wertproblem sozialpolitischer Eingriffe - distributives Marktversagen reflektiert ein Werturteil: Marktergebnis steht nicht im Einklang mit Zielen, die sich aus Wertvorstellungen (Moral/Menschenbild) ableiten, Wertvorstellungen (materielle Gerechtigkeit, Solidarität in der Gesellschaft, Menschenrechte) - Maßstab für die ethische Bewertung des Markergebnisses nicht definierbar und damit keine Letztbegründung möglich Münchhausen Trilemma (Trilemma weil Freiheit, Sozialpolitik und Marktergebnis sich gegenseitig beschränken) - dennoch empirisch gehaltvolle Aussagen über praktische Wirkung der Werte und Normen möglich (Ergebnis aus sozio-kulturellem Evolutionsprozess Beurteilungskriterien lassen sich für Wertentscheidungen ableiten und für Zielfestlegung in Sozialpolitik nutzbar machen)
- Freiheit - Liberaler Freiheitsbegriff: "Abwesenheit von Zwang" - Materielle Freiheit: Materielle Mittel/Macht/Möglichkeit zur Durchsetzung eigener Ziele
- Gerechtigkeit - Formale G.: Gleichheit vor dem Gesetz im Sinne des freiheitlichen Rechtsstaats - Materielle G: positive Norm zur Bewertung von Verteilung der Macht oder Ressourcen - Leistungsgerechtigkeit: eine der Leistung entsprechende Beteiligung am Ergebnis - Leistungsgerechtigkeit des Marktes: Verteilung entspricht effizienter Allokation (d.h. Entlohnung der Produktionsfaktoren entsprechend der Grenzproduktivität) und basiert auf dem liberalen Werturteil - Bedarfsgerechtigkeit: Verteilung, die sich am Bedarf orientiert ist ein - aus sozialethischen Vorstellungen wie Solidarität und Menschenwürde abgeleiteter Verteilungsmaßstab - Individuelle Freiheit und Solidarität sind kein Gegensatz wenn Solidarität freiwillig erfolgt(entsprechend Subsidiaritätsprinzip Anforderung an Gesellschaft) - durch allokative und systematische Unvollkommenheiten, Beschränkung der Rationalität, unterschiedliche individuelle Präferenzen, wachsende Anonymität, lassen sich nicht alle Probleme mit freiwilliger Hilfe und Umverteilung lösen - moderne Gesellschaften beauftragen deshalb den Sozialstaat mit sozialpolitischen Aufgaben, Einschränkung Freiheit und Verfügungsmöglichkeiten - konkrete Ziele der Sozialpolitik werden durch demokratische Mehrheit innerhalb desverfassungsvertraglichen Rahmens entschieden, Ausdruck eines mehrheitlichen gesellschaftlichen Konsens der durch Staatsversagen/ Umverteilungskoalitionen beeinflusst werden kann - Bedarfsgerechtigkeit steht im Spannungsverhältnis zur Leistungsgerechtigkeit - neoklassische Wohlfahrtsökonomik versucht auch gesellschaftliches Verteilungsproblem mit Pareto-Kriterium zu lösen, stößt auf grundsätzliche Schwierigkeiten
- Sozialpolitische Eingriffe bei allokativem Marktversagen - allokatives Marktversagen kann Grund für Staateingriff sein - vor allem bei sozialpolitisch relevanten Gütern/Dienstleistungen mit Kollektivgutcharakter - staatliche Bereitstellung fällt dann in Zuständigkeit der Sozial- und Verteilungspolitik - auch bei anderen Arten von allokativem Marktversagen, wie Informationsmängel, wenn sozialpolitische Ziele berührt werden - so greift Staat bspw. in den Gesundheitsmarkt ein, um flächendeckende/gleichmäßige Versorgung sicherzustellen - bei reiner Marktlösung hohe Vorhaltekosten in dünn besiedelten Gebieten, deshalb sozialpolitischer Eingriff des Staates - bei echter Beseitigung des allokativen Mangels auch wirtschaftlicher Nutzen - soziale Sicherung gegen Daseinsrisiken wie Krankheit/Unfall/ Arbeitslosigkeit/Langlebigkeit, wenn das Risiko über Versicherungsmärkte nicht oder nur ineffizient/unvollständig versicherbar ist (Staat übernimmt Versicherungsfunktion)
- Möglicher Beitrag zur Verhinderung von systemischem Marktversagen - Sozialpolitische Maßnahmen können auch Systemischem Marktversagen (politische/gesellschaftliche Destabilisierung der Wirtschaftsordnung) entgegenwirken - Sicherung des sozialen Friedens trägt zur um Akzeptanz des Wirtschaftssystems bei - Gefährdung sozialen Friedens durch soziale Not, extreme Verteilungsunterschiede, fehlende Absicherungen gegen existenzielle Risiken sind wesentliche Ursache für gesellschaftliche und politische Instabilität - positive Wirkung für Gesamtwirtschaft vs. Kosten der Sozialpolitik, Prüfung nötig auch hinsichtlich der Ordnungskonformität (Nebenwirkungen)
- Mittel der Sozialpolitik - Verschiedene Mittel der Sozialpolitik sind: -- Regulierungen (häufig, z.B. Arbeitsrecht) mit Ge-und Verboten -- Öffentliches Leistungsrecht (häufig, z.B. Sozialgesetzbücher) mit Sach- und Geldleistungen -- Einfluss auf Marktgeschehen mit Abgaben und Ausgaben mit Sach- und Geldleistungen, sowie mit öffentlicher Bereitstellung/Produktion von Gütern wie Beratung oder Sachleistungen - allokative Mängel werden durch Steuern/Transfers in ihrer Lenkungswirkung für Angebot/Nachfrage beeinflusst - sozialpolitische Steuern/Transfers zielen auf Einkommens- und Vermögenspolitik und Finanzierung sozialer Leistungen (fiskalisches Ziel) - Anreizeffekte treten z.T. als Nebenwirkung auf die zu Zielkonflikten/Effizienzeinbußen führen - ggf. marktnahe/marktkonforme Lösungen besser (z.B. Stärkung privater Eigenvorsorge, wettbewerbliche Vergabe der Bereitstellung sozialer Leistungen, gesetzliche Versicherungspflicht) - Soziale Leistungen können in unterschiedlicher Form gewährt werden: -- Geldleistungen (ungebunden/gebunden) = der Leistungsempfänger kann am Markt darüber frei verfügen -- Sachleistungen = Staat als Nachfrager/Produzent , können als Gutscheine, die dem Leistungsempfänger Wahl des Anbieters am Markt überlassen (z.B. freie Krankenkassenwahl) marktkonform gestaltet werden --- Subjektbezogene Leistungen = direkt an den Leistungsberechtigten(marktnäher) --- Objektbezogene Leistungen = direkt an Leistungserbringer (stärkerer Eingriff in den Markt)
- Träger der Sozialpolitik - in der EU Primärkompetenz der Sozialpolitik auf Länderebene, EU wirkt jedoch mit - internationale Träger (UN-Organisation, Weltbank) - in Deutschland: -- Gebietskörperschaften (ALG II) = föderale Aufgabenverteilung zwischen Kommunen und Bund -- gesetzliche Sozialversicherungen („Parafisci“) gegliedert nach Versicherungszweig (Krankenversicherung), Branchen (IKK), Unternehmen (BKK) und föderal organisiert (AOK) vielfältige Kompetenzverflechtungen -- zivilgesellschaftliche Organisationen (freie Wohlfahrtspflege, private Unternehmen)
- Einkommenspolitik - zielt als Verteilungspolitik auf die Veränderung der Einkommensverteilung ab - Ziel: Vermeidung/Abbau zu großer Verteilungsunterschiede (lassen sich mit statistischen Größen ausdrücken: Gini-Koeffizient/Lorenzkurve) - wichtige Instrumente sind Progressive Einkommensbesteuerung/Transferzahlungen, die die durch den Markt entstehende Verteilung nachträglich korrigieren
- Vermögenspolitik - dient der personellen Einkommensverteilung, da Marktverteilung der Einkommen von der Ausgangsverteilung der Ressourcen abhängt - Beeinflussung der Vermögensbildung z.B. durch Sparzulagen und die Schaffung von Rahmenbedingungen für Arbeitnehmerbeteiligung am Produktivvermögen und Investivlöhne - problematisch ist die laufende Substanzbesteuerung (Gegensatz zu Ertragsbesteuerung), da leistungsgerecht à enge verfassungsrechtliche Grenzen - Erbschaftssteuer gerechtfertigt, da Erbe nicht durch eigene Leistung entstanden ist
- Soziale Grundsicherung (Sozialhilfe) - soziale Grundsicherung soll jedem Mitglied der Gesellschaft ein kulturelles Existenzminimum sichern, nicht nur Existenzsicherung, sondern soziale Teilhabe als Schutz der Menschenwürde - Bedarfsprinzip/Subsidiaritätsprinzip als Grundlage -- Bedarfssatz (je nach Haushaltstyp/Lage) wird festgesetzt -- Gewährung unterliegt Bedürftigkeitsprüfung, eigene wirtschaftliche Leistungsfähigkeit wird geprüft - Höhe der Bedarfsätze und Kriterien der Bedürftigkeitsprüfung sind politisch und rechtlich umstritten - Bedarfsprinzip steht im Spannungsverhältnis zum Leistungsprinzip à Höhe der Bedarfsätze kann negative Anreize erzeugen àLohnabstandgebot muss eingehalten werden = Arbeit muss sich lohnen (subjektive Einschätzung)
- Arbeitsnehmerschutz, Arbeitsmarktpolitik und Mitbestimmung - Belange der Arbeitnehmer zentrales Feld der Sozialpolitik - Arbeitnehmerschutz umfasst: - rechtliche Regelung des Arbeitsverhältnisses (Arbeitszeit, Arbeitsvertrag, Kündigungsschutz, Urlaub, Verbot sittenwidriger Löhne) - Gesundheitsschutz - Arbeitsmarktpolitik - negative Folgen von Arbeitslosigkeit begrenzen - Beschäftigung sichern - Schaffung von Arbeitsplätzen à Wirtschaftspolitik - Arbeitsvermittlung - Qualifizierung - Wiedereingliederung - Soziale Absicherung Lohnausfallrisiko als Teil der sozialen Sicherung - Mitbestimmung - Mitsprache der Arbeitnehmer/ Gewerkschaften absichern - betrieblich und überbetrieblich - Teil der Sozialpartnerschaft mit Sozialpolitik als Rahmen (Betriebsverfassungsgesetz, Mitbestimmungsgesetz)
- Soziale Sicherung - dient der Absicherung elementarer Lebensrisiken (5 Säulen der Sozialpolitik) -- Gesetzl. Arbeitslosenversicherung SGB III -- Gesetzl. Rentenversicherung SGB VI -- Gesetzl. Krankenversicherung SGB V -- Soziale Pflegeversicherung SGB XI (11) -- Gesetzl. Unfallversicherung SGB VII - hat die Funktion einer Versicherung - zwei Gründe für Legitimation der Eingriffe in den Markt: -- nicht versicherbare Risiken (Vorerkrankungen) -- Mängel und systemische Risiken bei Versicherungs- und Finanzmärkten(Finanzmarktkrise) - mängelbehaftet durch Umlagefinanzierung -- umlagefinanzierte Systeme finanzieren laufende Ausgaben durch laufende Einnahmen -- durch systematische Überschätzung des Wachstums und Vernachlässigung des demographischen Wandelsà Deckungslücke -- Ausgaben für wachsende ältere Bevölkerung / Einnahmen aus schrumpfender Erwerbsbevölkerung - Kapitaldeckung vermeidet dies, da über individuell berechnetet Prämien Rücklagen für die künftigen Ausgaben gebildet werden - Gesamtwirtschaftlich ist Mischung aus Umlagefinanziert/Kapitalgedeckt am sinnvollsten - Sozialversicherungen haben neben Versicherungsfunktion auch Umverteilungsfunktion was Ziel- und Ordnungskonformität beeinträchtigt
- Andere Bereiche - weitere Felder der Sozialpolitik - viele lassen sich unter allgemeine Daseinsvorsorge zusammenfassen, insbesondere Wohnungspolitik, die im Nachkriegsdeutschland eine große Bedeutung hatte - Vielzahl gruppenspezifische Sozialpolitiken: - Jugendpolitik - Familienpolitik (Elterngeld) (finanziell größte Bedeutung) - Seniorenpolitik (finanziell größte Bedeutung bei Einschluss der Alterssicherung) - Frauenpolitik - Behindertenpolitik - Ausländerpolitik - Verbraucherpolitik
- Problematik meritorischer Eingriffe - sozialpolitische Eingriffe werden oft mit meritorischem Marktversagen begründet - distributives und meritorisches MV lassen sich nicht immer klar voneinander trennen
- Nicht-Rationalität und meritorisches Marktversagen meritorisches Marktversagen besteht, wenn Individuen gegen ihre eignen Interressen handeln, handeln nicht-rational - subjektiv zweckrationales Verhalten, jedoch Optimierung der „falschen“ Nutzen-/Zielfunktion, Entscheidung gründet auf objektiv falschen Voraussetzungen / Irrationales Handeln (inkonsistente Präferenzen) - Meritorisches Marktversagen : - meritorische Güter zu schwach nachgefragt (Versicherungsschutz, Bildung) - demeritorische Güter zu stark nachgefragt (Drogen, Glücksspiel) - Mittel bei meritorischen Eingriffen: - Aufklärung und moralische Appelle - Zwang durch Ge- und Verbote - Positive und negative finanzielle Anreize (Alkoholsteuer, Subventionierung) - vor allem, wenn falsche Präferenzen durch meritorische Eingriffe korrigiert werden sollen, geraten diese schnell in Gegensatz zu den Grundwerten Freiheit und Eigenverantwortung - meritorische Eingriffe laufen Gefahr, Minderheiten und individuelle Meinungs- und Entscheidungsfreiheiten auszuhöhlen - Kriterium der nachträglichen Billigung der vom Eingriff betroffenen (z.B. Erkenntnis dass Bildungsgut war und Schulpflicht damit auch)à Gefahr der Erziehungskultur - bei Informationsmängeln kann meritorisches Marktversagen sich auch als allokatives Marktversagen herausstellen (häufige Überschneidung von sozialpolitischen und meritorischen Eingriffen) z.B. Rauchverbot mit der Argumentation, dass Folgekosten die Allgemeinheit abzuwenden sind (i.S. Moral Hazard) - meritorische Begründungen taugen (soweit sie nicht mit sozialethischen Begründungen gleichgesetzt werden) eingeschränkt zur Rechtfertigung von Markteingriffen
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