Klinische Psychologie (Fach) / Umschriebene Lese-Rechtschreibstörung 4 (Lektion)
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Erklärungsansätze - strukturelles Entstehungsmodell - Annahme defizitärer sprachlicher und visueller Infoverarbeitung - genetische Disposition
Diese Lektion wurde von kirscheni erstellt.
- strukturelles Entstehungsmodell (2 Sichtweisen) zur Entstehung der umschriebenen Lese-Rechtschreibstörung werden zwei Sichtweisen diskutiert: eine somatogene Begründung, die von konstitutionellen Faktoren ausgeht, die aus einer Veranlagung und prä-, peri- und postnatal entstandenen Hirnfunktionsstörungen resultieren eine psychogene und soziokulturelle Begründung, die psychosoziale Einflüssen, psychogenen Lernhemmungen und einer defizitären Förderung Effekte zuschreiben Letztlich ist das komplexe Zusammenwirken neurobiologischer, genetischer und umweltbedingter Faktoren als ursächlich für die Entstehung einer Lese-Rechtschreibstörung anzunehmen (Hakso, 2012).
- Strukturelles Entstehungsmodell nach Morton und Frith (1995) Biologische Ebene genetische oder andere biologische Begründungen cerebraler Besonderheiten, die für die Lese-Rechtschreibstörung relavant sind (cerebral = Gehirn-, geistig) z. B. beeinträchtigte sprachlich-akutische Wahrnehmung, unreife Hirnentwicklung, verlangsamte Informationsverarbeitung im visuellen Kortex (Großhirnrinde) Kognitive Ebene Fehlen kognitiver Strukturen (kognitive Defizite), die zu Besonderheiten in der kognitiven Infoverarbeitung führen, die wiederum als Voraussetzung für die LRS anzusehen sind z. B. Defizite in der automatisierten Verbindung von Lauten und Lautzeichen (Buchstaben), Schwächen in der phonologischen Bewusstheit Verhaltensebene Fehlersymptome im Lesen und Rechtschreiben z. B. Verlangsamung, Auslassen und Verdrehen von Lauten bzw. Buchstaben Ebene äußerer Einflussfaktoren hierzu zählen Einflussfaktoren, wie bspw. eine unzulängliche Unterrichtung
- phonologische Informationsverarbeitung Unter der phonologischen (lautsprachlichen) Informationsverarbeitung werden drei Komponenten zusammengefasst: phonologische Bewusstheit phonologisches Rekodieren im Zugriff auf das semantische Gedächtnis die phonetische Rekodierung im Arbeitsgedächtnis Diese Komponenten sind spezifische prognostische Faktoren für die Lese-Rechtschreibkompetenz. Vorschulkinder mit guten phonologischen Fähigkeiten werden meist problemlos lesen und schreiben lernen, wohingegen schwach ausgebildete phonologische Fähigkeiten mit großer Wahrscheinlichkeit zu Schwierigkeiten beim Schriftspracherwerb führen (Roth, 1999).
- phonologische Bewusstheit die phonologische Bewusstheit bezieht sich auf die Fähigkeit, sprachliche Einheiten (Worte, Reime, Silben, Phoneme) zu erkennen und mit ihnen zu operieren während sich die phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne auf die Erkennung von größeren Spracheinheiten wie Wörter, Silben, Reime bezieht, umfasst die phonologische Bewusstheit im engeren Sinne die Fähigkeit zur Manipulation von Phonemen als kleinste lautsprachliche Einheit bei Kinder mit LRS ist oft die phonologische Bewusstheit mangelhaft ausgebildet es gelingt ihnen bspw. meist nicht, die einzelnen Phoneme in einem Wort zu "hören" und zu identifizieren (Phonemanalyse) weiterhin bereitet es ihnen Schwierigkeiten, Einzellaute zu einem vollständigen Wort zusammenzufügen (Phonemsynthese)
- phonologisches Rekodieren das phonologische Rekodieren beim Zugriff auf das semantische Gedächtnis meint die Fähigkeit, schriftliche Symbole (geschriebene Wörter, Bilder) zu rekodieren (in eine lautsprachliche Struktur zu übertragen), um schließlich aus dem LZG deren Bedeutung abzurufen die Geschwindigkeit, mit der Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten auf das semantische Gedächtnis zugreifen können, ist im Vergleich zu normalen Lesern und Rechtschreibern deutlich niedriger bei Aufgaben, in denen Wörter, Zahlen oder Objekte so schnell wie möglich benannt werden sollen, ist die Benennungsgeschwindigkeit von Kindern mit LRS ebensfalls deutlich verlangsamt
- phonetisches Rekodieren das phonetische Rekodieren im Arbeitsgedächtnis bedeutet, dass schriftliche Symbole im KZG lautsprachlich repräsentiert sind die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses für sprachliches Material kann über Aufgaben zur Erfassung der verbalen Gedächtnisspanne (z. B. Wortsapnne, Satzspanne), der Artikulationsgeschwindigkeit und -genauigkeit gemessen werden Kinder mit Lese-Rechtschreibschwierigkeiten zeigen in der Regel in solchen Aufgaben schwächere Leistungen als normale Leser und Rechtschreiber Studien ergaben Unterschiede in der Gehirnaktivität bei Personen mit LRS im Vergleich zu Kontrollpersonen bei der Verarbeitung von Sprachreizen (Schulte-Körne, 2001)
- Aufgaben zu Erfassung der phonologischen Bewusstheit (Roth, 1999) phonologische Bewusstheit im weiteren Sinne Silbentrennen: Wie klatscht man bei dem Wort "Kindergarten"? Silbenzählen: Wie koft kan man zu dem Wort "Limonade" klatschen? Reime erkennen: Reimen sich "Maus" und "Haus"? Reime produzieren: Was hört sich an/klingt wie "Brot"? Lautkategorisierung: Welches Wort klingt am Ende anders als die anderen: "Saum-Baum-Laut-Raum"? phonologische Bewusstheim im engeren Sinne: Phonemsynthese: Was bedeutet /ei/ /s/? Rate! Phonemanalyse: Welche Laute hört man in dem Wort "Uhr"? Phoneme zählen: In welchem Wort hört man mehr Laute: "Brille" oder "Sonne"? Anlauterkennung: Welchen Laut hört man am Anfang von "Mond"? Wortrest benennen: Was bleibt übrig, wenn man den Anfangslaut von "Wal" weglässt? Phonemersetzung: Ersetzte /a/ durch /i/ in "Wand"! Phonemvertauschung: Vertausche die ersten beiden Laute in "Löwe"! - "Ölwe".
- Annahme defizitärer visueller Informationsverarbeitung die Annahme, dass Betroffene mit LRS ein generelles visuelles Informationsdefizit haben, konnten neuere Forschungsergebnisse nicht schlussendlich bestätigen es zeigten sich widersprüchliche Befunde, die sich vermutlich auf unterschiedliche diagnostische Kriterien für die Auswahl der Versuchspersonen, unterschiedliche Untersuchungsmethoden und Reizmaterialen zurückführen ließen wahrscheinlich erscheint vielmehr, dass die schriftlichsprachlich-gebundene visuelle Informationsverarbeitung (z. B. die visuelle Verarbeitung von Buchstaben, Abruf von orthografischem Wissen) bei Kinder mit LRS gestört ist (Schulte-Körne, 2004)
- genetische Disposition die familiäre Häufung ist in unabhängigen Studien gesichert (Warnke & Schulte-Körne, 2007) ist ein Kind betroffen, so sind 52-62% der Geschwister ebenfalls betroffen, unabhängig davon, ob Alters- oder IQ-Diskrepanz als diagnostisches Kriterium verwendet werden; eine polygene Vererbung ist anzunehmen bislang wurden neun Kandidatengenregionen ermittelt (Scerri & Schulte-Körne, 2010) auf den Chromosomen 15 ("Wortlesen")und 6 ("phonologische Bewusstheit")wurden Kandidatengene identifiziert, die in der Embryogenese eine Bedeutung für die Ausbreitung (Migration) von Hirnnerven besitzen -> Hinweise auf Veranlagung von schriftsprachimmanenten Funktionen anstatt der LRS an sich Wechselwirkung zwischen biologischer, kognitiver und Verhaltensebene
- Ätiologie und Genese (Warnke, in Remschmidt) - allgemein Die Lese-/Rechtschreibstörungen sind ein heterogenes Syndrom, dem eine Polyätiologie entspricht: Qualitäten des schulischen Unterrichts und andere psychosoziale Bedingungen kindlichen Lernens spielen in der Genese der Legasthenie eine Rolle, ohne als kausal gelten zu können. Die Erklärungsansätze beinhalten genetisch und nicht genetisch bestimmte Besonderheiten der zentralnervösen Informationsverarbeitung. Genetische Einflüsse Hirnstrukturelle Korrelate Hirnfunktionelle Korrelate Neurometabolische Korrelate Elektrophysiologische Korrelate Neuropsychologsiche Korrelate
- Neuropsychologische Korrelate zwei Erklärungsansätze dominieren eine Hypothese besagt, die Lese-/Rechtschreibstörung sei Ausdruck einer Störung sprachlicher Infoverarbeitung, eine zweite Hypothese, sei sei das Resultat von gestörter visueller Infoverarbeitung kein Zweifel besteht daran, dass die sprachliche Infoverarbeitung sehr häufig bei Personen mit Lese-/Rechtschreibstörung beeinträchtigt ist 60-80% der betroffenen Personen haben Sprachentwicklungsstörungen (z. B. Wortfindungsstörungen, Dysgrammatismus, Schwächen im sprachlichen Gedächtnis) prognostisch aussagekräftig sind Schwächen in der phonologischen Bewusstheit dies betrifft Schwierigkeiten, Worte in ihre lautlichen Teile zu zerlegen (S/O/N/N/E) und Laute (Phoneme: den Laut "a") den Schriftzeichen (Graphemen: dem Buchstaben "a") zuzuordnen. Bei 5-10% der lese- und rechtschreibschwachen Personen werden Besonderheiten der visuellen Infoverarbeitung vermutet
- neben den wesentlichen Erklärungsansätzen werden daneben diskutiert: gestörter Aufbau funktioneller Hemisphärendominanz gestörte Sehfunktionen (wahrscheinlich sekundär: Auffälligkeiten der Seh-Trennschärfe) Störungen der Aufmerksamkeit Beeinträchtigungen in der sequenziellen Reizverarbeitung Verlangsamung des Tempos zentralnervöser Infoverarbeitung Schwächen des sprachabhängigen Gedächtnisses, die sich als Wortfindungsstörungen, verlangsamtes sprachliches Erinnern oder als ungenügende Wiederholungsstrategien bemerkbar machen
- Modell zu Störungen der visuellen Infoverarbeitung (Warnke, 2007) Neurophysiologische Ebene: sensorisch basale visuelle Wahrnehmungsstörungen: z. B. bei der Wahrnehmung von Bewegung, Reizen mit niedrigem Kontrast; verlangsamte Weiterleitung visueller Stimuli. haben Einfluss auf: Neuropsychologische Ebene: kognitiv: rezeptiv/ informativ/ integrativ Störung des orthografischen Wissens, der morphologischen Speicherung; oder der Übersetzung von Graphemfolgen in Phonemfolgen. kognitiv: produktiv/ expressiv Störungen im Zugriff auf "Wortbilder"; Störung des "morphologischen Gedächtnisses" (Nichtwortlesen) das letztgenannte kognitive (produktiv/expressiv) hat wiederum Auswirkungen auf die schriftsprachliche Verhaltensebene: Störungen des Lesens Störungen der Rechtschreibung
- Modell zu Störungen der akustisch/lautlichen Infoverarbeitung (Warnke, 2007) Neurophysiologische Ebene: sensorisch basale aktustische/ lautliche Wahrnehmungsstörungen: z. B. bei der Wahrnehmung von schnell aufeinander folgenden akustischen Reizen, Hörschwelle, Trennschärfe haben Einfluss auf: Neuropsychologische Ebene: kognitiv: rezeptiv/ informativ/ integrativ Störungen der Sprachwahrnehmung: z. B. verminderte Differenzierungsfähigkeit von Stoppkonsonanten -/b/ und /p/, /b/ und /d/ Störung der Phonem-Graphem-Zuordnung kognitiv: produktiv/ expressiv Störungen der phonologischen Bewusstheit: z. B. bei Phonemanalyse, Phonemsynthese das letztgenannte kognitive (produktiv/expressiv) hat wiederum Auswirkungen auf die schriftsprachliche Verhaltensebene: Störungen des Lesens Störungen der Rechtschreibung
- Stadienmodelle Stadienmodelle zur Beschreibung von Informationsverarbeitungstheorien des Lese- und Rechtschreibprozesses (als Ausgangspunkt für die Erforschung sprachlicher = phonologischer Informationsverarbeitungsprozesse) Aufbauend: logographisches Stadium: Worterkennung orientiert sich an visuellem Merkmalen alphabetisches Stadium: Nutzung der Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln (phonologisches Rekodieren: Wort wird Buchstabe für Buchstabe "erlesen") orthographisches Stadium: Wörter als vollständige innerliche Repräsentation von Buchstabenfolgen im Gedächtnis gespeichert und abrufbar
- Erklärung: phonologische Informationsverarbeitung phonologische Informationsverarbeitung Nutzung von Informationen über die Lautstruktur bei der Auseinandersetzung mit gesprochener und geschriebener Sprache die Verarbeitung lautsprachlicher Infos haben eine hohe Bedeutung beim Aneignungsprozess 3 Komponenten (phonologische Bewusstheit, phonologisches Rekodieren, phonetische Rekodierung)
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- Ätiologie - Ursachen der Entstehung der LRS Annahme einer unterschiedlicher Ätiologie und Ausprägung unterschiedliche Ursachenfaktoren für einzelne Subgruppen es gibt nicht nur die eine Lese-Rechtschreibstörung mit nur eindeutiger Symptomatik und nur einer einzigen Ursache! Übersicht somatogene Begründung psychogen soziokulturell biologisch, kognitiv, Verhaltensebene Ebene äußerer Einflussfaktoren neurobiologisch neuropsychologisch (visuelle und sprachliche Defizite in der Infoverarbeitung) neurophysiologisch ...
- Schriftsprachenerwerb Schriftsprachenerwerb = komplexer Entwicklungsvorgang unter Integration verschiedener Funktionen. Die Störung einzelner Komponenten oder die Kombination verschiedener Störungen führen zu spezifischer Disposition für die LRS als Entwicklungsstörung und Teilleistungsschwäche.