Differentielle und Persönlichkeitspsychologie (Fach) / 8. Persönlichkeit im Kulturvergleich (Lektion)
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Nach Neyer
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- Können Ökologie, Kultur und Genpool von Populationen korrelieren und warum? Ökologische, kulturelle und genetische Veränderungen von Populationen stehen oft in enger Wechselwirkung miteinander. Ein Beispiel hierfür ist die Laktosetoleranz, die am stärksten in der germanischen und gälischen Gemeinschaft verbreitet, bei Persern und Indern jedoch gering ausgeprägt war. Die unterschiedliche Entwicklung der Laktosetoleranz könnte ökologischen und kulturellen Veränderungen, aber auch Veränderungen des Genpools geschult sowie Wechselwirkungen zwischen diesen geschuldet sein.
- Sind Intelligenztests zwischen Populationen mit unterschiedlicher Ökologie vergleichbar? Nein. Die Bedeutung einer Intelligenztestaufgabe kann von der Ökologie der Kultur abhängen. Deshalb können Intelligenzaufgaben, die in einer Kultur valide sind, in einer anderen ungeeignet sein, Intelligenz zu erfassen. Zum Beispiel waren die australischen Aborigines bekannt für ihre Fähigkeit, aus menschlichen Fußabdrücken Rückschlüsse auf die Person des Verursachers zu ziehen (Alter, Gewicht, Eigentümlichkeiten der Gangart; vgl. Klich, 1988). Diese Fähigkeit lässt sich allerdings bei Europäern allerdings nicht beobachten. Irvine (1979) konnte durch eine Metaanalyse eine universelle korrelative Struktur von Intelligenztests aufzeigen. Demnach gelten 6 Dimensionen als kulturell universelle Intelligenzdimensionen: Die allgemeine Intelligenz (g-Faktor), logisches Denken, verbale Fähigkeiten, räumliche und Wahrnehmungsfähigkeiten, numerische Fähigkeiten, Gedächtnisfähigkeiten und Schnelligkeit.
- Was ist die Out-of-Africa Hypothese und wie wurde sie hauptsächlich bestätigt? Die Out-of-Africa-Hypothese besagt, dass der Ursprung der heutigen Menschheit in Südostafrika liegt und dass von dort aus kleine Teilgruppen die Weltregionen besiedelten. Belegt wurde diese Annahme vor allem durch Befunde zu genetischer Ähnlichkeit und unterschiedlichen genetischen Variabilitäten von Populationen. Cavalli-Sforza, Menozzi und Piazza (1994) illustrierten die genetische Ähnlichkeit durch die Häufigkeit von Allelen in 42 Populationen. Ihre Befunde erweisen sich als kompatibel mit der Out-of-Africa-Hypothese. Auch Ramachandran et al. (2005) untermauerten die Hypothese durch ihre Befunde zur genetischen Variabilität in Populationen in Beziehung zur geographischen Distanz von Ostafrika.
- Wie groß sind genetische Unterschiede zwischen Populationen relativ zu genetischen Unterschieden innerhalb von Populationen und was bedeutet das für den Begriff der Rasse? Die genetischen Unterschiede innerhalb von Populationen sind erheblich größer als die genetischen Unterschiede zwischen Populationen; das Verhältnis beträgt etwa 6:1. Rassen werden definiert aufgrund von Oberflächenmerkmalen (Hautfarbe, Augenform), für die jedoch nur geringe genetische Unterschiede verantwortlich sind. Rassununterschiede werden alltagspsychologisch aufgrund von Stereotypisierung stark übertrieben und sind von daher nicht geeignet, um die genetische Ähnlichkeit von Populationen zu charakterisieren.
- Sind Schwarze in den USA im Mittel weniger intelligent als Weiße und wenn ja, warum? Um 1970 hatten Schwarze in den USA einen mittleren IQ von 84 bezogen auf einen IQ der Weißen von 100 (Jensen, 1980; Dickens & Flynn, 2006). Bekanntlich unterscheiden sich Weiße und Schwarze in den USA aber auch in ihrem sozialen Status und dieser korreliert mit dem IQ. Neuere Ergebnisse aus den USA zeigen in repräsentativen Stichproben eine langsame Abnahme der Unterschiede von ca. 2 IQ-Punkten pro Jahrzehnt bei Schwarzen (Dickens & Flynn, 2006). Dieser historische Effekt ist in etwa so groß wie der Flynn-Effekt*. Ein weiteres Ergebnis ist eine Zunahme des Unterschieds mit wachsendem Alter. Scarr und Weinberg (1976) initiierten eine Studie an überwiegend nichtweißen Adoptivkindern, die von weißen Familien der oberen Mittelschicht in den USA adoptiert worden waren. Das zentrale Ergebnis ihrer Studie ist, dass es eine äußerst stabile Rangfolge der IQ-Mittelwerte bei den leiblichen, weißen und schwarzen Adoptivkindern gab und dass die Extreme in dieser Rangfolge stets um mindestens eine ganze Standardabweichung im IQ unterschieden (15 bzw. 17 IQ-Punkte). Diese Ergebnisse sind weder klar genetisch noch klar nichtgenetisch interpretierbar. Damit könnten sie auch auf Genom-Umwelt-Korrelationen zurückzuführen sein. *Der Flynn-Effekt bezeichnet die Tatsache, dass bis in die 1990er Jahre die Ergebnisse von IQ-Tests – bei unterbliebener Nacheichung – in Industrieländern im Mittel immer höhere Werte erbrachten, die gemessene Intelligenz also zunahm.
- Welche Vor- und Nachteile haben der etische und der emische Ansatz im Kulturvergleich? Beispiel? Etisch + Emisch?: emischen Ansätzen: Problematisch: westliche Persönlichkeitskonstrukte nur teilweise bestätigen konnten: So fanden De Raad et al. (2010) bei lexikalischen Analysen von nicht-germanischen Sprachen mit emischem Ansatz nur drei der Big Five (CEA) in allen diesen Sprachen, nicht aber Offenheit und Neurotizismus. Cheung et al. (1996) entwickelten ein chinesisches Persönlichkeitsinventar mit emischen Anteilen (Chinese Personality Assessment Inventory, CPAI). Cheung et al. (2001) ließen diverse Stichproben das CPAI und das Big-Five-Inventar NEO-PI-R beantworten. Analysen aller Items zeigten, dass der Big-Five-Faktor Offenheit durch keine der 22 Skalen erfasst wurde und umgekehrt der chinesische Faktor Interpersonelle Bezogenheit („Interpersonal Relatedness“) von keiner Big-Five-Facette erfasst wurde, deshalb tauchte er in einer gemeinsamen Faktorenanalyse aller Items als eigenständiger sechster Faktor auf. Emische Konstrukte erscheinen nur dann nachweislich sinnvoll, wenn sie zu besseren Vorhersagen führen als etische. Ansonsten ist hier der Aufwand zu groß.
- Gibt es Intelligenzunterschiede zwischen Nationen und warum? Mit dem „Greenwich IQ“ gaben Lynn und Vanhanen (2002, 2006) erstmals eine umfassende Übersicht über Mittelwerte in getesteter Intelligenz in 113 Nationen. Der "Greenwich IQ" bezieht sich auf die Standardisierung am Mittelwert von Großbrittannien 1979 (IQ = 100). Die Mittelwerte waren am höchsten in Südostasien, moderat in Nord-, West- und Zentraleuropa sowie Nordamerika, Australien und Neuseeland und etwas geringer in Nordafrika, den Golfstaaten sowie in Zentral- und Südafrika. Die mittlere Schulleistung eines Landes kann als gute Schätzung des mittleren Intelligenzniveaus eines Landes betrachtet werden: So beobachtete Rindermann (2007), dass nationale Mittelwerte in internationalen Schulleistungsstudien wie PISA je nach Test und Jahr sehr hoch mit dem Greenwich-IQ korrelierten. Das mittlere Intelligenzniveau eines Landes variiert stark mit dem Bildungsniveau, der Ausbildungsdauer, der Lebenserwartung und der Kinderzahl, wobei damit über die kausalen Zusammenhänge noch nichts gesagt ist. Die starken Zusammenhänge könnten z. B. auf Unterschieden zwischen Nationen im Einsetzen des Flynn-Effekt beruhen.
- Kann man Mittelwertunterschiede zwischen Kulturen in beurteilten Persönlichkeitsmerkmalen unbesehen interpretieren? Interkulturelle Mittelwertunterschiede in Persönlichkeitsmerkmalen sind oft komplex zu interpretieren, da hier Referenzgruppeneffekte eine größere Rolle spielen. Persönlichkeitsbeurteilungen unterliegen aus Gründen der sozialen Erwünschtheit einem Kontrasteffekt: Je geringer ein sozial erwünschtes Merkmal in einer Kultur tatsächlich ausgeprägt ist, desto mehr tendieren Selbst- und Fremdbeurteilungen zu einer Überschätzung des Merkmals. Wenn dies so ist, wären Schlüsse von Mittelwertunterschieden zwischen Kulturen in Selbst- oder Fremdbeurteilungen auf reale Unterschiede zwischen den Kulturen nicht möglich. Dies können nur Studien klären, in denen interkulturelle Unterschiede in Persönlichkeitsbeurteilungen mit interkulturellen Unterschieden in beobachtetem Verhalten korreliert werden.
- Sind Stereotype über Persönlichkeitsunterschiede zwischen Kulturen valide? Terracciano et al. (2005) korrelierten die vermuteten Big-Five-Mittelwerte von Angehörigen anderer Nationen mit den mittleren Selbst- und Bekanntenurteilen in den Big Five dieser Nationen. Die Autoren schlossen aus ihren Ergebnissen, dass Stereotype über die typische Persönlichkeit anderer Nationen invalide sind. Ebenso sehr könnten diese Korrelationen aber auch als Hinweis auf die Invalidität der Selbst- und Fremdurteile interpretiert werden (Heine et al., 2008). Wieder helfen hier nur objektive Persönlichkeitsmaße weiter. Heine et al. (2008) fanden klar positive Korrelationen zwischen den Nationalstereotypen über Gewissenhaftigkeit und der Arbeitsgeschwindigkeit von Postangestellten, der Genauigkeit von Uhren in Banken und der Laufgeschwindigkeit von Fußgängern. Nicht die Stereotype waren invalide, sondern die Mittelwerte der nationalen Selbst- und Fremdurteile.
- Wie unterscheidet sich das Selbstkonzept in individualistischen Kulturen vom Selbstkonzept in kollektivistischen Kulturen und mit welchen Konsequenzen? Nach Markus und Kitayama (1991) kann das Selbstkonzept in individualistischen Kulturen als unabhängig („independent self “) charakterisiert werden und das Selbstkonzept in kollektivistischen Kulturen als vernetzt („interdependent self “). Während das unabhängige Selbstkonzept die Individualität des Einzelnen unabhängig von seinen sozialen Beziehungen betont, betont das vernetzte Selbstkonzept die Einbettung in soziale Gruppen. Auf die Frage „Wer bist du?“ würde z. B. in individualistischen Kulturen geantwortet „intelligent, sportlich“, in kollektivistischen Kulturen „Abteilungsleiter bei Sony, Mitglied des Ski-Clubs Sapporo“. Eine Konsequenz hiervon ist, dass Werte wie die Rücksichtnahme auf Mitglieder der In-Gruppe in kollektivistischen Kulturen wesentlich höher rangieren als in individualistischen. Die Autoren betonten jedoch, dass sich das kollektivistische Selbstkonzept keineswegs auf beliebige andere Personen bezieht, sondern nur auf die eigene In-Gruppe.
- Warum ist die Erfassung des Individualismus und Kollektivismus einer Kultur durch Einstellungs- und Wertefragen problematisch? Bei der Erfassung des Individualismus und Kollektivismus einer Kultur durch Einstellungs- und Wertefragen liegt fast immer ein Referenzgruppeneffekt vor. Vergleichen sich z. B. deutsche Studierende, die nach ihren Einstellungen und Werten befragt werden, wirklich mit chinesischen oder nigerianischen Studierenden? Doch wohl eher mit anderen Deutschen und v. a. mit anderen Studierenden! Solche Fragebögen sind unproblematisch zur Erfragung von Unterschieden in den Einstellungen und Werthaltungen innerhalb einer Population, die auch die Referenzgruppe darstellt, aber die Interpretation von Populationsmittelwerten ist problematisch.
- Unterscheiden sich Persönlichkeitskorrelate zwischen individualistischen und kollektivistischen Kulturen? Ja, dies betrifft z.B. den Zusammenhang zwischen Empfindsamkeit bzw. Sensitivität und Beliebtheit bei Klassenkameraden. So wurde laut Chen et al. (1992) schüchterne Empfindsamkeit in China positiver bewertet als in Kanada, was vermutlich auf seine Nähe zu Einfühlsamkeit zurückgeht, die in kollektivistischen Kulturen höher geschätzt wird als in individualistischen. Ein zweites Beispiel für unterschiedliche Korrelate von Persönlichkeitseigenschaften betrifft die Lebenszufriedenheit innerhalb von Kulturen. In individualistischen Kulturen wird nach empirischen Befunden die individuelle Lebenszufriedenheit wesentlich vom privaten Erleben (Affektbalance, Selbstwertgefühl, Zufriedenheit mit Freundschaften) bestimmt, während sie sich in kollektivistischen Kulturen auch daran orientiert, wie zufrieden man glaubt sein zu dürfen.
- Korreliert individuelle Religiosität immer mit dem Selbstwertgefühl? Viele Studien fanden innerhalb einer Kultur positive Korrelationen zwischen Religiosität und diversen sozial erwünschten Persönlichkeitsmerkmalen wie z. B. Lebenszufriedenheit und psychische Gesundheit inkl. positives Selbstwertgefühl (Koenig, King & Carson, 2012). Neuere Studien zeigen jedoch, dass dieser Haupteffekt durch kulturelle Unterschiede in Religiosität moderiert wird: Er findet sich in stark religiös geprägten Ländern, nicht aber in wenig religiösen Ländern (Diener, Tay & Myers, 2011; Gebauer, Sedikides & Neberich, 2012). Gebauer et al. (2012) interpretieren dies durch die Religiosität-als-sozialer-Wert Hypothese: Je höher die Religiosität der sozialen Umwelt, desto sozial erwünschter ist Religiosität, sodass religiösere Menschen positiver wahrgenommen werden, was wiederum ihr Selbstwertgefühl erhöht und ihre psychische Gesundheit fördert.
- Welche Faktoren nehmen darauf Einfluss, ob Migranten sich in ihrer Persönlichkeit von alteingesessenen Einheimischen unterscheiden? Beispiel? Wie stark sich Migranten von Einheimischen der aufnehmenden Kultur in einem Persönlichkeitsmerkmal unterscheiden, hängt in erster Linie von der Definition ab, was ein Migrant genau ist. Hinsichtlich der Frage, ob sich die Verteilung einer Persönlichkeitseigenschaft durch Migration verändert, sind außerdem Selektionsprozesse aufseiten der Migranten und Unterschiede in den Mittelwerten der Eigenschaft zwischen Herkunftsland und aufnehmendem Land bedeutsam. Zusätzlich müssen bei Migranten Sozialisationsprozesse durch die Kultur des aufnehmenden Landes berücksichtigt werden, die die Eigenschaft verändern können (Akkulturation). So schnitten um das Jahr 2000 die Migranten der 2. Generation hinsichtlich des nicht-verbalen IQ und der PISA-Mathematikleistung durchweg besser ab als die Migranten der 1. Generation aus demselben Herkunftsland, sodass ein Selektions- oder Akkulturationseffekt nicht mehr nachweisbar war (Ausnahme: türkischstämmige Schüler der 2. Generation in Deutschland).
- Probleme bei der Übertragung der Ergebnisse der kulturvergleichenden Forschung auf interkulturelle Interaktionen. Die Ergebnisse von Kulturvergleichen lassen sich nicht einfach auf konkrete interkulturelle Interaktionen übertragen (Helfrich, 2013). Erstens behindert die unreflektierte Anwendung von „Regeln“ solche Interaktionen durch Übergeneralisierung und Stereotypisierung. Nicht jeder Angehörige einer fremden Kultur zeigt das typische Verhalten dieser Kultur; die dort vorhandenen Persönlichkeitsunterschiede sind fast immer größer als die kulturellen Unterschiede. Zweitens wissen die Interaktionspartner, dass sie sich in einer interkulturellen Situation befinden; dies kann zu einer gegenseitigen Anpassung führen oder dazu, dass dem Gegenüber ein „Idiosynkrasie-Kredit“ eingeräumt wird (Hollander, 1958). Nicht zuletzt sind interkulturelle Situationen oft Neuland für die Beteiligten, in denen es besser sein mag, nach neuen Wegen der Zusammenarbeit zu suchen als vorhandene Unterschiede zu perpetuieren (Hofstede, 2001).