Geschichte (Subject) / VL 12 Kirche und Reform (Lesson)

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5.7

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  • Interregnum als interregnum bezeichnet man die Zeit nach 1250, nachdem Friedrich II gestorben war und es eine Zeit lang keinen König gab der seinen Platz einnahm. Sehr vielunfriedlicher als davor oder danach war diese „königslose“ Zeit jedenfalls nicht. Und es gabja Könige, nur eben keinen unangefochtenen. Es werden dann über längere Zeit hinweg ten-denziell „kleine Könige“ gewählt, oft machtpolitisch eher unbedeutende Grafen, die sich ent- weder durch persönliche Leistung in den Vordergrund gespielt hatten oder von vornherein als schwache Konsenskandidaten gewählt wurden, damit sie den Machtambitionen der Herzöge nicht in die Quere kämen. Drei Herzogshäuser machen dann seit der Wende zum 14. Jahrhun- dert für mehrere Jahrhunderte den Kampf um das römisch-deutsche Königtum unter sich aus: Die Habsburger, die Luxemburger und die Wittelsbacher.
  • Habsburger Die Habsburger waren zunächst ein Grafengeschlecht im Kanton Aargau. Der Graf Rudolf IV. von Habsburg (1218-1291) betrieb eine geschickte Expansionspolitik und gewann so eine erhebliche Machtstellung im Gebiet rund um den Bodensee und im Schwarz- wald. 1273 wurde er als Rudolf I. zum König gewählt, als erster einer ganzen Reihe von Grafen auf dem Königsthron. Anders als manche seiner Nachfolger nutzte Rudolf die neue Stel- lung jedoch sehr geschickt, um seine Hausmacht auszubauen, indem er heimgefallene Her- zogtümer an seine Söhne vergab. So kamen die Habsburger in den Besitz Österreichs, Kärn- tens, der Steiermark und Krains (im heutigen Slowenien). Er war dabei so erfolgreich, dass die alarmierten Fürsten nach seinem Tod nicht seinen Sohn, sondern den Grafen Adolf von Nassau auf den Thron hoben. Nach dessen Absetzung 1298 freilich wurde dann doch Alb- recht I. (1255-1308) König, der Sohn Rudolfs.
  • Goldene Bulle 1356 1356 jedoch konnte er die „Goldene Bulle“ verabschieden lassen, in derdas neue „Kaiserliche Recht“ zusammengefasst und von den Großen des Reiches bestätigtwurde. Festgeschrieben wurden damit unter anderem die Modalitäten und das Verfahren der Königswahl, vor allem die Gestalt des Kollegiums der Kurfürsten, die in Zukunft wahlberech- tigt sein sollten. Fürderhin sollten nur noch die Erzbischöfe von Trier, Mainz und Köln, der König von Böhmen, der Pfalzgraf bei Rhein, der Herzog von Sachsen und der Markgraf von Brandenburg wahlberechtigt sein – wobei über die Gründe für diese Auswahl schon viel Pa- pier beschrieben worden ist. Man hat die „Goldene Bulle“ als das deutsche „Grundgesetz“ desMittelalters bezeichnet. Streng genommen kann das ja aber nur für die letzten 145 Jahre unse- rer Epoche gelten. Zudem wissen wir, dass das neue Kaiserrecht in den ersten Jahrzehnten nach seiner Verabschiedung schlicht ignoriert wurde. Dann aber avancierte es tatsächlich zur Grundlage des Reichsrechts und sollte dies bis ins frühe 19. Jahrhundert bleiben. Die dualisti- sche Reichsverfassung mit dem Gegenüber von König/Kaiser einerseits und Reich, Reichstag, Reichsständen andererseits war damit festgeschrieben.
  • Macht Frankreichs und der Karpetinger Das Königtum der Kapetinger in Frankreich zum Beispiel bedeutete zunächst einmal nicht viel mehr als einen Kernraum rund um Paris. Der gesamte Osten des heutigen Frankreichs gehörte zum Römisch-Deutschen Reich, wenn er auch sprachlich und kulturell romanisch war. Der Süden, Okzitanien bzw. das „Languedoc“, war de facto stärker nach Katalonien o- der Italien orientiert als nach Norden. Die Herrschaft des französischen Königs musste hier im 13. Jahrhundert in brutalen Kriegszügen durchgesetzt werden. Der gesamte Westen war der Herrschaft der Kapetinger entzogen, weil er seit dem späten 12. Jahrhundert als Lehen von den Königen von England gehalten wurde. Diese beanspruchten für sich zumindest im 14. und 15. Jahrhundert auch die Krone Frankreichs, weshalb beide Dynastien sich in einem sprichwörtlichen „Hundertjährigen Krieg“ (1337-1453) ineinander verkeilten.
  • Begriff Kirche Weil die uns heute geläufige Vorstellung der „una sancta“, der weltweiten katholischen Kirche mit einer zentral auf den Papst hin ausgerichteten, dem Anspruch nach dogmatisch geschlossenen Institution der Glaubensverwaltung erst ein Produkt des tridentinischen Kon- zils von 1545-1563 ist. Und auch diese neuzeitliche „katholische Kirche“ steht ja immer in der Konkurrenz zu den protestantischen Kirchen, den verschiedenen orthodoxen Kirchen (die in ihrer historischen Genese viel älter sind als die lateinische Kirche) und zu den heute noch existierenden orientalischen Kirchen (für die dies erst recht gilt): Kopten, Nestorianer, diverse syrische Kirchen etc. Umso mehr gilt dies für die Zeit vor dem Tridentinum: Es gibt auch imlateinischen Kirchensprachraum immer eine Mehrzahl von „Kirchen“, die sich aufgrund ihrerEntstehungs- und Entwicklungsgeschichte auf ganz unterschiedliche Weise verstanden und je nach historischer Epoche mehr oder weniger stark dem Autoritätsanspruch des Patriarchen von Rom unterordneten.
  • ius reformandi et visitando Auf der anderen Seite wurde auch der König/Kaiser als sakrale Instanz und als Schutzherr der Kirche gesehen. Und auch die weltlichen Gewalten unterhalb des Königtums beanspruchten für sich erfolgreich die Herrschaft über die Kirche: Seit dem 13. Jahrhunderten wurden die Landesherren, die Herzöge und Fürsten, zu den eigentlichen Herren der Kirche in ihren Terri- torien, sie erhielten das ius reformandi et visitandi, das Recht also, in den Gemeinden und Bistümern für Ordnung zu sorgen, Synoden einzuberufen etc. Vielfach hatten sie auch das sogenannte Patronatsrecht, setzten also die Pfarrer und Stiftsgeistlichen ein und verwalteten die Kirchenfinanzen mit den attraktiven Abgaben.
  • privilegium fori Vor allem aber waren mit den kirchlichen Institutionen in der Stadt umfangrei- che rechtliche Sonderräume entstanden: Die Kirche, der Klerus und alle ihre Familiaren unter- lagen allein der kirchlichen Rechtsprechung, bildeten also große „Immunitäten“, in denen die weltliche Obrigkeit nichts zu sagen hatte. Man kann diese Immunitäten in vielen Städten heu- te noch an den Straßennamen ablesen, „Domfreiheit“ etwa o.ä. Und auch der Klerus, also das Personal der Kirche, hatte eine Sonderstellung: Alle Geweihten waren vom Kriegsdienst be- freit, sie mussten keine Steuern und Abgaben zahlen und genossen das „privilegium fori“, durften also nicht vor ein weltliches Gericht gestellt werden.
  • Sieben Weihgrade em 11. Jahrhundert in der Regel sieben Weihegrade mit abgestuften Rechten und Pflichten. Man unterschied die niederen Weihen (Subdiakone): Ostiarier (Türhüter), Lektor, Exorzist, Akolyth (Begleiter); von den höheren Weihen: Diakon, Priester, Bischof. Subdiakone waren nicht an das Gebot der Ehelosigkeit gebunden, durften dafür aber auch nicht die Messe zelebrieren und die Sakramente spenden, sondern waren liturgisch auf Hilfs- aufgaben beschränkt. Dies konnte aber attraktiv sein, wenn man sich bei einer kirchlichenKarriere den Rückweg in den Laienstand offenhalten wollte, oder wenn man von vornherein vor allem die Abgabenfreiheit und Immunität des Klerus ausnutzen wollte. Viele Berufsgrup- pen ließen sich darum gern nur die niederen Weihen spenden, Notare etwa, Universitätsge- lehrte, oder auch Adelssöhne, die sich nicht auf das Priesteramt festlegen wollten.
  • Pfründe Wir kennen heute ja noch das Schlagwort von den „Pfründen“, die zu „ver- teilen“ sind, etwa in der Parteipolitik. Was ist eigentlich eine „Pfründe“? Das deutsche Wort geht auf das lateinische „praebenda“ zurück, und es bezeichnet die Stelle eines Klerikers in einem Stift, in dem Priesterkollegium einer Kirche oder einer Kathedrale also. An jeder grö- ßeren Kirche arbeitete nicht nur ein Pfarrer, sondern eine ganze Gruppe von Klerikern, die sich hier die liturgischen, seelsorglichen und verwaltungstechnischen Aufgaben teilten. Von ihnen wurde erwartet, dass sie in einer klosterähnlichen Gemeinschaft zusammenlebten – was sie, wie ich letzte Woche bereits erwähnte, nur in seltenen Fällen auch taten. Für jeden dieser Kleriker gab es eine „Pfründe“, also ein Vermögen (Land, Geld, andere Ertrag abwerfende Ressourcen), aus dessen Ertrag er seinen Lebensunterhalt bestritt. Dieses Vermögen war in aller Regel von Gläubigen gestiftet worden, die dafür von dem Empfänger geistliche Gegen- leistungen erwarteten. Das Geschäft lautete also: Geld gegen Gebete.
  • Memoria - Erinnerung Warum stiftete man über- haupt? Der Altar trug in aller Regel das Wappen des Stifters, oder zeigte ihn gar im Bild, wie hier – ein Muster, das wir seit dem 14. Jahrhundert kennen. Es ging also zumindest auch um„soziale Repräsentation“ der Eliten. Aber warum stiftete eine Zunft kollektiv einen Altar? Und umso mehr: Warum die unzähligen Stiftungen für Hospitäler, Armenspeisungen, Brü- cken, Kapellen, für was auch immer? Denn man konnte für alles stiften, was irgendwie als gute Tat durchging. Die Antwort ist: Memoria – Erinnerung. Die Leute wollten sicherstellen, dass nach ihrem Tod jemand ihrer gedachte und für sie betete. Dazu bezahlte man den Priester am Zunftaltar; dazu gab man Almosen, die die Empfänger im Gegenzug zu Gebetsleistungen für den Spender verpflichteten; dazu trat man in eine Gilde oder Bruderschaft ein, in der sich die Mitglieder dazu verpflichteten, für einander zu beten; dazu ließ man sich im Frühmittelal- ter in die Gebetsverbrüderung eines Klosters oder am besten eines Klosterverbandes aufneh- men, damit all die Gebete der Mönche auch dem eigenen Seelenheil zugutekämen.
  • Dispense Die immer weiter systematisierten Bestim- mungen etwa zum Eherecht, zur Besetzung von Pfründen und Pfarrstellen und zu vielem mehr verlangten im Praxisfall nach einer Regelung, die mehr und mehr die Zentrale in Rom an sich zog. Insbesondere konnte man in Rom „Dispense“ erwerben, also die Erlaubnis, im Ausnahmefall gegen diese oder jene Bestimmung des Kirchenrechts zu verstoßen. Sie haben Streit mit einem Bischof, der Sie exkommuniziert hat, und möchten davon gelöst werden? Sie haben bereits eine Ehe geschlossen, wollen aber einen anderen heiraten? Sie haben bereits ein Bistum, wollen aber noch eines? Sie sind Pfarrer, leben aber mit einer Konkubine zusammen? Für all dies gab es in Rom Dispense.
  • Ablasshandel Ablass. (PP: Rafael: Julius II.) Im „Mittelalter“ verkaufte „die Kirche“ bekanntlich gegen Geld Zettel, auf denen geschrieben stand, wie viele Jahre in der Hölle man gerade käuflich abgegolten habe. Gern zitiert wird in diesem Zusammenhang auch der Vers: „Sobald das Geld im Kastenklingt, die Seele aus dem Feuer springt.“ Ihn soll angeblich der Dominikaner und Ablasspre- diger Johann Tetzel (1460-1519) geprägt haben. Seine Predigten motivierten, so wissen wir, den jungen Augustinermönch Martin Luther 1517 zur Veröffentlichung seiner Thesen. 1506 verkündet hatte zur Finanzierung eines ambitiösen Neubauprojekts, nämlich des Petersdomes. Die Sammlung und vor allem die Transaktion der Erträge nach Rom besorgte das Augsburger Bankhaus der Fugger. Zudem mussten sich die päpstlichen Ablassprediger mit den Ortsbischöfen arrangieren, die natürlich ihre eigenen Erträge schwinden sahen, wenn die Gläubigen für das ferne Rom zahlten. Das Spendenaufkommen wurde so aufgeteilt, dass alle an der Administration des Ablasses beteiligten Instanzen einen Teil des Ertrags bekamen: Die Ablassprediger betrieben ihr Geschäft quasi als Franchise-Spendensammler; die Bank bekam Bearbeitungsgebühren; der zuständige Bischof eine Kompensation der ihm entgange- nen eigenen Einnahmen.
  • Beginn des Ablasshandels Wie war das also mit dem „Ablass“ – abseits der Legenden? Entstanden war die theologische Idee im Kontext der Kreuzzüge: Wenn die Teilnahme am Heiligen Krieg von Gott mit einem Erlass der Sündenstrafen belohnt wurde, wie konnten dann Menschen, die nicht kämpfen konnten, in den Genuss des Seelenheils kommen? Arme, Kranke, Frauen, Alte wurden ja ebenso von der Kreuzzugsbegeisterung erfasst, und wollten ebenso nach Jerusalem ziehen, um dort das Himmelreich zu erlangen! Nur konnte man sie im Krieg nicht gebrau- chen. Man musste sie also überreden, zuhause zu bleiben. Der Ausweg: Man machte den Kreuzzugsablass „kommutierbar“, also umwandelbar: Statt selbst zu kämpfen, konnte man auch eine entsprechende Summe spenden und so einem Ritter die Teilnahme am Kreuzzug finanzieren.
  • Plenarablass 1. Zumindest der Plenarablass betrifft vom Gedanken her nicht den, der ihn kauft, sondern einen Dritten, schon Verstorbenen, er ist also Teil der postmortalen Memoria.2. Wenn der Erwerber für sich selbst tätig wird, dann natürlich immer nur für bereits began- gene Sünden, und3. immer nur bei aufrichtiger Reue: Gegen noch gar nicht begangene Sünden und ohne Ge- wissensbisse nützt aus Sicht des Bußtheologie auch der beste Ablass gar nichts.4. Der Ablass betrifft immer nur, so zumindest die nachtridentinische Theologie, die soge-nannten „zeitlichen Sündenstrafen“, eben nicht die Zeit im Fegefeuer, sondern die kirchlicheBußstrafe, die der Mensch vor dem Tod zu leisten hat. Diese sehr missverständliche Begrün- dung ist freilich bis heute so ganz klar nicht definiert.5. Ablässe erteilen, das gilt schon seit dem 13. Jahrhundert, kann nur der Papst. Und er kann dies, weil er die Verfügungsgewalt über den „thesaurus ecclesiae“, den „Schatz der Kirche“hat – die von der Kirche in ihrer zweitausendjährigen Geschichte angesparte göttliche Gnade: Der thesaurus ecclesiae ist das Sparbuch, auf das Gott quasi die Gnade eingezahlt hat, welche die Heiligen und Gläubigen mit all ihren guten Werken erworben haben. Es ist durch die bis- herigen Abhebungen auf der Sünden-Seite noch längst nicht erschöpft, weshalb die Kirche mit dem Guthaben arbeiten kann.
  • Rechtssprechung der Kirche Bis zum 12. Jahrhundert wurde diese kirchliche Rechtsprechung unsystematisch und ohne zentrale Steuerung betrieben: Die Bischöfe hielten in ihren Diözesen Gericht, sie trafen sich auf Synoden ihrer Kirchenprovinzen oder auf mehr oder weniger die Gesamtkirche umfassen- den Konzilien, um gemeinsame Richtlinien festzulegen. Diese Synodalstatuten bildeten mit ihren einzelnen Abschnitten, den canones (darum: „Kanonistik“) die Grundlage des kirchli- chen Rechts. Oft wurden canones einzelner Synoden schulbildend für weite Kreise der Kir- che, sie wurden abgeschrieben und weitergereicht. Andererseits kam es in vielen Fragen zu völlig unterschiedlichen Entscheidungen, so dass die Rechtsprechung der Kirche immer mehr Widersprüche entwickelte. Zumindest in den ersten fünf bis sechs Jahrhunderten des Mittelal- ters fehlte auch schlicht eine durchsetzungsfähige zentrale Instanz, die dieses Durcheinander hätte ordnen können
  • Gratian von Chiusi Die Juristen von Bologna begannen nun, das antike römische Zi- vilrecht und das öffentliche Recht ihrer Zeit zu systematisieren und zu vereinheitlichen. Undin Bologna arbeitete auch Gratian von Chiusi (um 1100 – vor 1160; Achtung: ein Name, den Sie sich merken sollten). Er ging 1140 daran, die unzähligen canones aus beinahe 800 Jahren Kirchenrecht zu sammeln, mit dem antiken Römischen Recht, der Bibel und den Aussagen der Kirchenväter zu vergleichen und die jeweils gültige Regelung abzuleiten. Das Ergebnis nannte er „concordantia discordantium canonum“ („Die Übereinstimmung der widersprüch- lichen Regeln“). Als „Decretum Gratiani“ ging es in die Geschichte ein, und es wurde zum Grundstock des Corpus Iuris Canonici, des Gesetzbuches der Kirche. Im 13. und 14. Jahr- hundert um weitere Kompilationen vor allem von päpstlichen „Dekretalen“ (Rechtssprüchen),erweitert, galt dieses CIC in der katholischen Kirche bis 1917, als es durch den grundlegend revidierten Codex Iuris Canonici ersetzt wurde.
  • Papst Innozenz III Ein entscheidender Schritt auf diesem Weg war das IV. Laterankonzil von 1215. Mit dem Pontifikat des Papstes Innozenz III. (1198-1216) hatte sich Rom eindeutig als Zentrale der lateinischen Kirche etabliert, auch wenn die Landeskirchen nach wie vor in vielerlei Hinsicht eigene Wege gingen. Der Papst sah sich nun auch nicht mehr als Nachfolger und irdischer Stellvertreter des Apostels Petrus; sondern er formulierte den neuen Anspruch, legitimer Stellvertreter Christi, also: Gottes (!), auf Erden zu sein. Die Kurie, der päpstliche Hof (der bis zum 14. Jahrhundert im Lateran, nicht im Vatikan zuhause war), verwandelte sich nun zu einer modernen Verwaltungsbehörde für die gesamte westliche Kirche. Und der Papst konnte kurz vor seinem Lebensende mehr als 70 Patriarchen und Erzbischöfe, 400 Bi- schöfe und 900 Äbte in seiner Bischofskirche San Giovanni in Laterano begrüßen. Die Be- schlüsse dieses IV. Laterankonzils erlangten in vielerlei Hinsicht weltgeschichtliche Bedeu- tung.
  • Bonifaz Mit Innozenz beginnt die wohl unbestritten beste Zeit des Papsttums, das 13. Jahrhundert. Der letzte Repräsentant dieses Goldenen Zeitalters, Bonifaz VIII. (*um 1235, 1294-1303) konnte 1302 in der Bulle Unam sanctam offen die Oberhoheit des Papsttums auch über die weltlichen Könige und Kaiser proklamieren: „Ego sum papa, ego sum imperator.“Als er das Jahr 1300 zum „Heiligen Jahr“ ausrufen ließ, kamen Hunderttausende Pilger ausganz Europa nach Rom, um hier den Ablass für ihre Sünden zu erlangen. Freilich: Auch diese Weltherrschaft des Papstes war mehr Anspruch als Wirklichkeit, ein Anspruch geboren aus der erbitterten Auseinandersetzung mit der neuen Hegemonialmacht Westeuropas, dem König von Frankreich. Philipp IV. (der Schöne, *1268, 1285-1314) stachelte die innerrömische Op- position gegen den Pontifex an und ließ 1303 in Anagni ein erfolgloses Attentat gegen ihn verüben. Er bezichtigte den Papst selbst der Ketzerei und ließ einen langwierigen Prozess ge- gen ihn anstiften.
  • Avignonesisches Papsttum chon Bonifaz’ Nachfolger musste vor der pro-französischen Partei aus Rom fliehen. 1305 schließlich kam mit Clemens V. (*1250/65, 1305-1314) ein Franzose und Parteigänger Philipps auf den Papstthron. Er residierte fast durchgehend in Frankreich bzw. Burgund und verlegte 1309 den Sitz des Papstes nach Avignon. (PP: Karte Avignon) 1316 schließlich wurde der bisherige Bischof von Avignon als Johannes XXII. (+ 1245/46, 1316- 1334) zu seinem Nachfolger gewählt. Damit begann die vielfach so genannte „Babylonische Gefangenschaft der Kirche“ in den Klauen des französischen Königs. Es lohnt den Hinweis, dass Avignon nicht zu Frankreich gehörte. Bis 1348 war es Teil der Grafschaft Provence und somit lehnrechtlich Teil des römisch-deutschen Reiches. Regiert wurde die Grafschaft aber von den Anjou, jener im 13. Jahrhundert extrem erfolgreichen Nebenlinie des französischen Königshauses. Umgeben war die Stadt Avignon von der Grafschaft Venaissin, die schon seit 1229 dem Papst gehörte. Das Papsttum hatte hier also eine Hausmachtbasis, die sich zwischen Frankreich und das Reich schob. Viele hatten sich von diesem Standort die Möglichkeit er- hofft, sich gleichermaßen den römischen Machtkämpfen wie der Hegemonie des Pariser Ho- fes entziehen zu können – zu Unrecht.
  • Konziliarismus, Aus der Erfahrung des „Großen Abendländischen Schismas“ war eine ganze Bewegung er- wachsen, der Konziliarismus, der die päpstliche Autorität grundsätzlich in Frage stellte. Die Kirche sollte demnach nicht von den moralisch und politisch disqualifizierten Päpsten, son- dern von der Versammlung der Bischöfe geführt werden. Regelmäßig sollten Bischöfe, Äbte und Kardinäle in Zukunft zusammenkommen, und ihnen sollte die letzte Entscheidungskom- petenz in allen relevanten Fragen zukommen. Der Papst sollte nurmehr ein von Ihnen be- stimmtes Oberhaupt sein, nicht mehr der Inhaber der göttlichen Offenbarung.
  • Abendländliche Schisma Das Abendländische Schisma, auch als Großes Schisma oder Großes Abendländisches Schisma bezeichnet, war eine zeitweilige Glaubensspaltung innerhalb der lateinischen Kirche mit konkurrierenden Papstansprüchen in Rom und Avignon von 1378 bis 1417.[1] Wesentliche Vorgeschichte des späteren Schismas war das Avignonesische Papsttum von 1309 bis 1376, während dessen die Papstresidenz von Rom ins französische Avignon verlegt war. Im Jahre 1376 vollzog Papst Gregor XI. die Rückkehr nach Rom. Sein unter kontroversen Umständen 1378 gewählter Nachfolger Urban VI. erweiterte das französisch dominierte 16-köpfige Kardinalskollegium um 29 neue Kardinäle, was die bisherigen ablehnten. Sie erklärten Urban für unfähig und wählten in Avignon den Franzosen Clemens VII. zum Gegenpapst, womit das Schisma vollzogen war
  • Konzil von Basel Tatsächlich berief Martin V., der nun wieder in Rom residierte, für das Jahr 1431 ein neues Konzil ein, und zwar nach Basel. Dieses Konzil beanspruchte nun tatsächlich die dogmatische Letztentscheidung, weshalb es schnell zum Konflikt mit Martins Nachfolger Eugen IV. (*1383, 1431-1447) kam. Eugens Parteigänger verließen 1437 im Protest die Ver- sammlung und siedelten nach Ferrara über, später nach Florenz, so dass nun zwei Konzilien tagten, die sich gegenseitig der Häresie bezichtigten und exkommunizierten.
  • John Wyclif Radikale Kritik an der Kirche und ihrem Zustand formulierte etwa der Oxforder Theologe John Wyclif (+ 1384), dessen 1379 erschienene Schriften mit ihrer Forderung nach Verzicht der Kirche auf weltlichen Besitz und politische Macht und nach einer Rückkehr der Theologie zum „sola scriptura“, also zur Bibel als einziger Grundlage, in vielem die spätere radikale Reformation vorwegnahm. Angesichts des Schismas forderte er 1379 die Gläubigen offen zum Ungehorsam gegenüber dem Papst auf. Das Schisma sorgte aber auch dafür, dass er dafür lediglich seine Lehrbefugnis in Oxford verlor und ein Teil seiner Lehrsätze als häre- tisch verurteilt wurden. Selbst seine Pfarrherrenstelle durfte er behalten und starb 1384 fried- lich und im Bett. Erst 1415 wurde er in Konstanz posthum als Ketzer verurteilt – ein schönes Beispiel dafür, dass die kirchliche Verfolgung Andersdenkender Gott sei Dank zumeist prag- matisch-politische Grenzen hatte. Seine Anhänger, die „Lollarden“, sollten noch bei der Ein- führung der Reformation in England eine Rolle spielen.
  • Jan Hus und die Hussiten Prager Fenstersturz und die Hussitenkriege Weniger Glück hatte einer der prominentesten Anhänger Wyclifs, der Prager Theologe und Prediger Jan Hus (1370-1415). 1401 betrieb er selbst vor der Kurie eine Klärung von Häresie- Vorwürfen gegen ihn. Nachdem er aber mehreren Vorladungen nicht gefolgt war, wurde er aus verfahrensrechtlichen Gründen exkommuniziert. 1413/14 wandte er sich mit der Schrift„Über die Kirche“ (De ecclesia) ausdrücklich und radikal gegen Papst und Kardinäle. 1414 lud ihn das in Konstanz tagende Konzil zur Rechtfertigung seiner Thesen vor. Der König Sigismund (1410-1437) versah ihn mit einem Geleitbrief, einer Garantie seiner Unversehrtheit also. In Konstanz wurde er bald in Haft genommen und im Juli 1415 schließlich verurteilt und verbrannt. Thomas Fudge hat jüngst noch einmal darauf hingewiesen, dass es sich dabei kir- chenrechtlich um ein völlig korrektes Verfahren gehandelt hat, bei dem Richter und Ankläger sich höchst skrupulös verhielten. Beide Seiten hatten hier wohl theologisch keine andere Wahl: Hus weigerte sich, Lehrsätzen abzuschwören, die ihm die Richter vorlegten, weil sie gar nicht die seinen seien. Das Gericht konnte dann gar nicht anders, als ihn wegen erwiesener Uneinsichtigkeit zu verurteilen.
  • „Devotio moderna“ Das wichtigste Beispiel: Ab 1374 sammelte in Deventer Geert Grote (1340-1384) Schülerin- nen und Schüler um sich, die als Laien ein asketisches, dem Gebet und der Meditation ge- widmetes Leben in Gemeinschaft pflegen wollten. Diese sogenannte „Devotio moderna“, in Deutschland vor allem als „Windesheimer Kongregation“ bekannt, sollte eine Frömmigkeits- bewegung in ganz Westeuropa, vor allem aber in Flandern, den Niederlanden und Nordwest- deutschland auslösen. Die Frauen in den Schwesternhäusern betrieben lebenslange strenge Exerzitien der Selbsterforschung, die sie wiederum in schriftlichen Berichten und Lehrdialogen für ihre Nachfolgerinnen festhielten. Psychologisch sind diese Zeugnisse faszinierend, auch wenn sie uns eher an Psychosekten aus den Siebziger Jahren erinnern mögen.
  • Thomas A Kempis Aus diesem Milieu kommt auch aus das sicherlich einflussreichste Buch des Spätmittelalters, dessen Erfolg wiederum ohne die Medienrevolution des Drucks mit bewegli- chen Lettern kaum denkbar ist: Die „Nachfolge Christi“ (De imitatione Christi) des Thomas a Kempis (1380-1471), eine in viele Sprachen übersetzte und in immer wieder abgewandelter Form nachgedruckte Sammlung von Meditationen und spirituellen Exerzitien, die den Anhängern der „Devotio moderna“ auf dem Weg zu Gott helfen sollten. Mit diesem Werk auf dem Pult haben all die berühmten Theologen des 15. und 16. Jahrhunderts gebetet – seine Wirkung für die europäische Geschichte ist insofern gar nicht hoch genug zu veranschlagen.
  • Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum“ Das „Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum“ des niederländischen Augustiner-Chorherrn Johannes Mauburnus(Jan Mombaer, ca. 1460-1502), erstmals erschienen wohl 1494 und ebenfalls mehrfach nach- gedruckt. Wir wissen, dass sowohl Martin Luther als auch Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens (1491-1556) und große Gegenspieler der Reformation, das „Rosetum“ als Meditationsvorlage nutzten. Ausgewählt habe ich Ihnen für den Reader eine Meditation, die wiederum sehr schön das Wechselspiel von Körperwahrnehmung und spiritueller Versenkung zeigt: Das „Chiropsal- terium“, also den „Hand-Psalter“: Anhand der Fingerglieder einer Hand sollte der Meditie- rende sich den Weg zu Gott ausmalen, wobei jedes Fingerglied zugleich für ein Musikinstru- ment und einen Schritt der Annäherung an den himmlischen Sphärenreigen stehen sollte. All dies wird wortreich ausgeschmückt, so dass das Chiropsalterium zugleich eine Art instrumen- tengeschichtliche Abhandlung und eine christliche Kosmologie enthält. Bei alledem sollte der reale Körper nun stillsitzen – bis auf die Finger, die einander Glied für Glied abzählen sollten.
  • Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum“ Das „Rosetum exercitiorum spiritualium et sacrarum meditationum“ des niederländischen Augustiner-Chorherrn Johannes Mauburnus(Jan Mombaer, ca. 1460-1502), erstmals erschienen wohl 1494 und ebenfalls mehrfach nach- gedruckt. Wir wissen, dass sowohl Martin Luther als auch Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens (1491-1556) und große Gegenspieler der Reformation, das „Rosetum“ als Meditationsvorlage nutzten. Ausgewählt habe ich Ihnen für den Reader eine Meditation, die wiederum sehr schön das Wechselspiel von Körperwahrnehmung und spiritueller Versenkung zeigt: Das „Chiropsal- terium“, also den „Hand-Psalter“: Anhand der Fingerglieder einer Hand sollte der Meditie- rende sich den Weg zu Gott ausmalen, wobei jedes Fingerglied zugleich für ein Musikinstru- ment und einen Schritt der Annäherung an den himmlischen Sphärenreigen stehen sollte. All dies wird wortreich ausgeschmückt, so dass das Chiropsalterium zugleich eine Art instrumen- tengeschichtliche Abhandlung und eine christliche Kosmologie enthält. Bei alledem sollte der reale Körper nun stillsitzen – bis auf die Finger, die einander Glied für Glied abzählen sollten.